Ein Jahrgangsprojekt stimuliert alle Sinne

Pressemitteilung schwäbische: Spaichinger Jahrgang 1974 baut Sinnesgarten (schwaebische.de) 

Ein ehrenamtliches Projekt des Spaichinger Jahrgangs 1974 bringt Menschen mit Sinnesbehinderungen die Vielfalt der Welt näher. Mit Sehen, Fühlen, Hören, Schmecken ...

Jens Höhnle hält seine Finger in das strömende Wasser des kleinen Brunnens. Er hört nicht das sanfte Rauschen der über die geriffelte Oberfläche plätschernden Tropfen, denn er ist taub, aber er fühlt das kühle Nass, das über seine Hand läuft, und ein glückliches Lächeln erscheint auf dem Gesicht des Mannes im Rollstuhl.

Der kleine Brunnen steht am Rand einer reich und bunt bepflanzten Blumenterrasse, deren Blüten in der warmen Sommersonne duften, im Garten des Hauses St. Agnes in Spaichingen. Hier leben Menschen mit Blindheit, Sehbehinderung oder mit einer Mehrfachbehinderung. Der neu gestaltete Garten gibt ihnen nun die Gelegenheit, ihre verbleibenden Sinne zu üben.

Zugang zur Umwelt

„Es geht immer um die Stimulation der vorhandenen Sinne, um den Zugang zur Umwelt zu schaffen“, fasst es Heimleiter Pascal Kopp zusammen. „Oben haben wir das therapeutische Material wie Igelbälle oder Massagebälle“, ergänzt Fachkraft Magnus Krieger, „hier unten haben wir die Natur.“

Die dreistufige Landschaftsterrasse sah nicht immer so anregend bunt aus. Bis vor kurzem war sie nur mit einem unansehnlichen und schwer zu pflegenden Rasen bedeckt.

Segensreiches Jahrgangsprojekt

Dass dort jetzt ein reicher Sinnesgarten blüht, ist dem Spaichinger 50er-Jahrgang 1974 zu verdenken. Der Vorgänger von Pascal Kopp, der damalige Abteilungsleiter Wohnen und Fördern, Meik Morlock, hatte dem Jahrgang die Idee geliefert. „Ich bin sehr glücklich, dass Meik Morlock auf uns zugekommen ist“, sagt Jahrgangsvorsitzender Dominik Schuhmacher, der zusammen mit Tobias Schnekenburger das Jahrgangsprojekt betreut hat, „denn das ist ein sehr schönes Projekt und passt zu unserem Jahrgang“.

Einer der Bewohner von St. Agnes, Thorsten Paul, ist selbst 1974 geboren und natürlich auch zum Heimatfest der 50er eingeladen. In einem von seiner Mutter geschriebenen Brief hat er die Teilnahme zwar dankend absagen müssen, aber seine Grußkarte ist vor dem gesamten Jahrgang verlesen worden.

Unschätzbare Leistung

Ungefähr 180 bis 200 ehrenamtliche Arbeitsstunden haben die '74er in das Anlegen des Sinnesgartens gesteckt. „Das kann man mit Geld gar nicht wertschätzen, was ihr geleistet habt“, lobt Magnus Krieger, Fachkraft im Förder- und Betreuungsbereich und von Anfang an - also seit 15 Jahren - in St. Agnes.

„Wenn wir so etwas von einer Firma hätten machen lassen, wären wir locker bei 20.000 Euro, und so etwas wäre in unserem Budget niemals drin gewesen“, sagt Einrichtungsleiter Pascal Kopp. Die verbleibenden Materialkosten sind zu einem Teil durch Geld- und Sachspenden bezahlt worden, den Rest hat dann die Stiftung St. Franziskus, übernommen, die Trägerin der Spaichinger Einrichtung.

Eine Jahrgängerin ist Co-Chefin in einem Gartencenter, so dass es ein Leichtes war, an die verschiedenen Pflanzen und Gartenmaterialien zu kommen. Die Pflanzen sind so ausgewählt, dass möglichst zu jeder Jahreszeit etwas blüht. Die verschiedenen, farbigen Pflanzen erfreuen das Auge und die Nase. Der plätschernde Brunnen spricht auch den Hör- und Tastsinn an.

Am Hochbeet naschen

Wichtig ist auch, dass alle Pflanzen ungiftig sind, denn so kann auch der Geschmackssinn angeregt werden. Einige der Bewohner sind es sowieso bereits gewohnt, an dem kleinen Hochbeet, wo Salat und Gewürze angebaut werden, an Schnittlauch oder Petersilie zu naschen.

Eine Holzstele mit farbigen Glaseinlagen schickt rote und blaue Lichtpunkte über den Gartenweg. Die hölzerne Liegebank daneben ist eine Spende des Vereins Gosheimer Freunde der Behinderten.

Eine andere Form der Sinnesstimulation soll der Pavillon, den der Jahrgang ebenfalls gebaut hat, bieten: Wenn sich in ein paar Monaten der angepflanzte Wilde Wein und Hopfen endgültig über die Pfeiler und ausgespannten Schnüre des Pavillons ranken wird, erspüren die Bewohner, die unter dem Blätterdach auf der Mahagonibank sitzen, den Wechsel von Licht und Schatten, Wärme und Kühle.

Anfänglich wurden die im Garten arbeitenden Jahrgänger von den Bewohner von St. Agnes noch verhalten aus dem Fenster oder vom Balkon beobachtet. Doch wurden sie immer neugieriger, und es kam zu ersten Begegnungen.

Eine inklusive Situation

Dominik Schuhmacher erinnert sich besonders an eine „schöne inklusive Situation“: „Eine junge Dame im Rollstuhl wollte unbedingt mithelfen, als wir gerade Rindenmulch ausgebracht haben. Also haben wir ihr einen Sack Mulch auf den Rollstuhl gelegt und sie mit schaffen lassen.“

Nicht zuletzt wegen des Bundesteilhabegesetzes, das die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung stärken will, leben heute immer mehr Behinderte zuhause, in Wohngruppen oder Wohngemeinschaften. Nur die schwerst Betreuungs- und Pflegebedürftigen – zum Beispiel jene, die mehrfach behindert sind, weil etwa zu einer geistigen Behinderung eine körperliche und/oder eine Sinnesbehinderung (Sehbehinderung, Blindheit, Gehörlosigkeit etc.) hinzukommen, werden heute noch stationär in entsprechenden Einrichtungen betreut.

zurück zur Übersicht